Die Kamera umkreist einen Mann und eine Frau – diesen „magischen“ Moment der ersten Begegnung eines Liebespaares inszenierte Rainer Werner Fassbinder (1945 – 1982) im Melodram MARTHA (1973) als schwindelerregende 360-Grad-Kamerafahrt. Für einen Moment scheint die Zeit stillzustehen. Die Kamera umschlingt das Paar wie mit einem imaginären Band. Die berühmte Szene ist eine Hommage an die Illusionskraft des Kinos und bricht diese zugleich über die extreme Künstlichkeit der Inszenierung. Fassbinder verhindert die vollständige Identifikation des Zuschauers mit dem Geschehen und sensibilisiert ihn somit für die Mechanismen des Kinos. Die in Bangladesch geborene Künstlerin Runa Islam dekonstruiert und verschärft in TUIN (1998) dieses Fassbinder’sche Verfahren, indem sie die Szene verfremdet wieder aufführt. In ihrer Installation steht der Besucher inmitten dreier Leinwände, zwei davon gewähren ihm einen Blick hinter die Kulissen: Dort sieht er die Kamera und die für sie im Kreis gelegten Schienen. Zusätzlich kann er selbst um eine dritte, frei im Raum hängende Leinwand schreiten und somit die Kamerafahrt körperlich nachvollziehen. Auf diese Weise entzaubert Islam die Illusion der märchenhaften Begegnung: Sie macht die Mechanismen des filmischen Erzählens sichtbar und benutzt sie zugleich selbst.
Diese Videoarbeit ist neben sechs weiteren in der Ausstellung Fassbinder – JETZT. Film und Videokunst (30. Oktober 2013 bis 1. Juni 2014) im Deutschen Filmmuseum Frankfurt zu sehen. Ausschnitte aus Fassbinders Filmen – insgesamt mehr als 60 Filmminuten – verdeutlichen seine Themen und ästhetischen Verfahren. Ihnen vergleichend gegenübergestellt sind die Arbeiten zeitgenössischer Videokünstler. Diese schließen thematisch und ästhetisch an Fassbinders Werk an; sie greifen einzelne Motive heraus, stellen Szenen aus seinen Filmen nach und übertragen seine Themen in die Gegenwart. Der Vergleich zwischen Fassbinders Filmen und aktueller Videokunst soll Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede erfahrbar machen und einen neuen Blick auf beide ermöglichen. Die Arbeiten der Künstlerinnen und Künstler zeigen, was Fassbinders aktive Zeit mit der Gegenwart verbindet, was beide aber auch unterscheidet. Übergeordnet geht es darum, wie das Kino aktuelle künstlerische Medien prägt, sowie um die Frage, inwiefern die Grenze zwischen Film- und Videokunst im digitalen Zeitalter verschwimmt.
Ausstellungsdauer:
noch bis 1. Juni 2014
Öffnungszeiten:
Mo. geschlossen
Di. 10:00 – 18:00 Uhr
Mi. 10:00 – 20:00 Uhr
Do. – So. 10:00 – 18:00 Uhr
Preise:
8,00 € / erm. 6,00 €
Kombiticket (Sonderausstellung + Dauerausstellung): 11,00 € |erm. 8,00 €)
Weitere Informationen & Tickets unter:
www.deutsches-filmmuseum.de
www.deutsches-filminstitut.de