Heimkinder und Internatsschüler in Deutschland, Heimkinder und Verdingkinder in der Schweiz schweigen Jahrzehnte über sexuellen Missbrauch, körperliche und seelische Gewalt in den Institutionen und Zwangsarbeit bei Bauernfamilien, denen sie von Eltern oder Jugendämtern anvertraut worden waren. Einhergehend mit ihrem Schweigen, das von Vergessenwollen, von Traumatisierung und Angst vor erneuter Stigmatisierung geprägt ist, steht das Schweigen der Gesellschaft, der Institutionen und der Wissenschaft.
„Aus dem Nest geworfen“ wurde der Protagonist des Einpersonenstücks, das Regisseur Johann Camut mit dem Schauspieler Matthias Horn in Szene setzt.
Michael wurde als Säugling, zusammen mit seinem Bruder Thomas, einer Pflegemutter übergeben und einfach nicht mehr abgeholt. Bis die Behörden 6 Jahre später darauf aufmerksam wurden und die leibliche Mutter in Österreich ausfindig machten. Die Söhne wurden abgeholt und kurz darauf in ein katholisches Kinderheim abgeschoben. Nach einem Besuch und durch inständiges Flehen nahmen die Stiefeltern sie erneut auf. Aber der Ton hatte sich verändert. Die Schläge des Stiefvaters waren nur das offensichtlichste Zeichen dafür. Dazu gesellten sich im Laufe der Jahre etliche kleinere und größere Demütigungen, Ausgrenzungen und Quälereien, sowie spätestens ab dem zehnten Lebensjahr ein Alltag, in dem Spiele und Freundschaften keinen Platz hatten, dafür aber nächtliches Zeitungsausfahren, die Versorgung unzähliger Tiere sowie viele weitere Arbeiten in und um Haus und Hof. „Aus dem Nest geworfen“ spiegelt den ebenso unerschöpflichen, wie unerklärlichen Einfallsreichtum erwachsener Menschen in der Demonstration ihrer Macht gegenüber ihren schutzbefohlenen Kindern. Das Stück spiegelt die Indifferenz einer Mutter gegenüber den beiden Söhnen, denen sie das Leben geschenkt hat. Es gibt eine Ahnung vom Wegsehen der Nachbarn, Lehrer und Bekannten auf dem Land. Es ist aber vor allem die Stimme eines Mannes, der heute, in seinen 40ern laut darüber nachdenkt, was ihm passiert ist; welche Auswege er sich als Kind, als Jugendlicher und als junger Mann gesucht hat, welche Strategien entwickelt.
Spieler: Matthias Horn
Inszenierung: Johann Camut
Dramaturgie: Annett Büchenbacher
Technik: Stefan Wolf
Tickets und Infos:
Tel. 030 / 441 00 09
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