Man muss nicht Ovid gelesen haben, um jenem Stier zu begegnen, in den sich Zeus verwandelt hat. In dessen Gestalt er die phönizische Königstochter Europa nach Kreta entführt, sie vergewaltigt und mit ihr den bedeutenden König Minos zeugt. Wir treffen den Stier heute in Straßburg vor dem Europäischen Parlament, finden ihn im Portemonnaie als 2-Euro-Münze oder auf einem Trip ins kunsthistorische Museum. Unreflektiert wird so die Geschichte der Namensgeberin unseres Kontinents zum beliebten Fotomotiv einer verspielt klingenden Erzählung aus der Wiege unserer abendländischen Kultur.
Seit 4000 Jahren werden die antiken Mythen tradiert, konsumiert und bis in die Gegenwart fortgeschrieben, als erotische Geschichten, erhabene Gesänge, großes Theater einer Hochkultur, salon- und schlafzimmertauglich. Nur zaghaft hebt sich hin und wieder der Vorhang für eine kritische Kultur- und Geschichtsbetrachtung. Dabei zeigen unsere Mythen, die nicht klar von der Realgeschichte zu trennen sind, erstaunliche Parallelen auch zu späteren Akten von Landraub und Kolonialismus.
Inspiriert von dem „Buch der Königstöchter" des Kulturkritikers Klaus Theweleit nehmen wir einen diskursiven Blickwinkel ein. Verharmlost als göttlicher Wille eines Zeus, Poseidon oder Apollon, kann man hinter dem Raub einer Helena die Verschleierung kolonialer Landnahme und die Auslöschung anderer Kulturen lesen - ausgeführt über die Körper von Frauen. Frauen, die eine ambivalente Rolle zwischen Opfer, Helferin und Verräterin einnehmen - in den Erzählungen aus der Perspektive der Sieger.
Wir lassen sowohl antike Königstöchter als auch amerikanische Pendants aus der Realgeschichte zu Wort kommen. Medea, Kassandra, Dido, Ariadne, Pocahontas und Malinche holen uns ins Heute und legen nahe, dass das Prinzip männlich dominierter Geschichte in Form von Krieg und Gewalt kaum auf ein Happy End hoffen lässt.
Tickets:
15,00 € | 12,00 € | erm. 8,00 €
Weitere Informationen unter:
www.schaubuehne.com
Tel. 0341 / 48 46 21