»Dostojewskijs WIRTIN ist ein schauerlicher Blödsinn!« schreibt die Autorität russischer Literaturkritik, Wissarion Belinski. Und auch: »Wir sind gründlich hereingefallen mit diesem ›Genie‹ Dostojewskij.« Tatsächlich bildet die Die Wirtin stilistisch eine Ausnahme. Orientiert an E.T.A. Hoffmann entwirft sie einen Mystizismus von Sehnsucht und Erotik, der die deutsche Romantik mit der russischen Filmtradition des 20. Jahrhunderts à la Tarkowski verbindet. Eine Dreiecksgeschichte: hier Wassili Michailowitsch Ordynoff, ein junger Akademiker und weltfremder Sonderling; dort, in den St. Petersburger Armenvierteln, die bezaubernd schöne Katerina mit einer dunklen Familiengeschichte, eine »entehrte Sklavin« von tiefer religiöser Demut. Sie wohnt mit (oder dient ihm?) Ilja Murin, einem bankrotten, einst erfolgreichen tatarischen Kaufmann, ein altgläubiger Zauberer, der mal luzide argumentiert, mal irrsinnig um sich schießt. Ordynoff zieht zu dem ungleichen Paar und verliebt sich bis zur Besessenheit in Katerina. Drei Personen – drei Perspektiven und ein großes Geheimnis, das den eigentlichen Kern ihrer Beziehung ummantelt. Überwiegt in anderen Dostojewskij-Texten die soziale Beobachtung und kristalline Psychologie, lösen sich in der Wirtin die Figuren bis zur Ungreifbarkeit von objektiven Fakten auf und entfalten eine eigenwillige dramatische Wirkung. Dostojewskijs frühe Erzählung ist das »polyphone« (Michail Bachtin) Zeugnis eines experimentierenden Schriftstellers, der die Ausgegrenzten in den Mittelpunkt stellt. Demgegenüber stehen politische Schriften, in denen er als radikaler Verfechter der absoluten Monarchie und der orthodoxen Kirche auftritt. Verbindungsstück zwischen Apologie und Beschreibung der Alterität ist der Mensch, in dem »alle Rätsel des Universums beschlossen« liegen, widersprüchlich, demütig, leidend, aber auch unterdrückend, gewalttätig und immer auf der Suche nach reiner Liebe und dem Weg ins irdische Paradies.
Nach der Umsetzung der Romane Erniedrigte und Beleidigte, Dämonen, Schuld und Sühne, Idiot und Spieler nimmt sich Frank Castorf nun der Erzählungen Dostojewskijs an.
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ab 12,00 €
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