„You'll Never Walk Alone.“ Dass gerade dieses Lied, einst komponiert
von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein für das Musical Carousel,
zu einer Hymne des Sports geworden ist, überrascht wenig. Die Frage
nach Zugehörigkeit stellt sich in der Sportarena genauso wie in der
sie umgebenden Gesellschaft. Die Ausstellung „Never Walk Alone.
Jüdische Identitäten im Sport“ nähert sich diesem komplexen
Gegenstand der Zugehörigkeit, indem sie Sportlerinnen und Sportler
jüdischer Herkunft auf der Spielfläche fokussiert.
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts nahm die Sportbegeisterung in der
deutschen Gesellschaft unaufhaltsam zu. Die Vorstellungen vom
modernen, gesunden und wohlgeformten Körper waren eng mit
sportlicher Ertüchtigung und Disziplin verbunden. Wer genug
trainierte, konnte durch körperliche Leistungen Anerkennung
erlangen. Diese Entwicklung bot auch Deutschen jüdischer Herkunft
viele Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Integration und zum
sozialen Aufstieg. Im Turnen und Fechten, aber auch im Schwimmen und
Bergsteigen oder ganz englisch im Tennis, Fußball oder Boxen taten
sich Athletinnen und Athleten jüdischer Herkunft hervor. Sportliche
Leistungen und Erfolge waren nicht nur ein wesentliches Mittel zur
Entwicklung und Festigung moderner jüdisch-deutscher Identitäten,
sondern entzogen antisemitischen Stereotypen von der körperlichen
Unterlegenheit den Boden.
In der ersten Ausstellungsebene positionieren sich Sportlerinnen und
Sportler auf der Spielfläche. Die Konzentration auf einzelne
Biografien erlaubt es einerseits, die Selbstwahrnehmung der
Sportlerinnen und Sportler zu betrachten, und andererseits auch
Zuschreibungen von außen offenzulegen. Deutschnationale Turner
betreten ebenso die Spielfläche wie zionistische Läufer, von dem
modernen englischen Sport begeisterte Tennisspielerinnen oder Boxer
genauso wie heimatverbundene Hobbysportlerinnen. Dass bestimmte
Zuschreibungen von existenzieller Bedeutung sein konnten, zeigt
beispielhaft die Geschichte der Fechterin Helene Mayer. Sie durfte
als „Jüdin“ 1936 an den Olympischen Spielen teilnehmen und gewann
die Silbermedaille für Deutschland. Aber sie war weder nach der
Halacha (Religionsgesetz) jüdisch, noch ihrer Selbstwahrnehmung
nach. Zur Jüdin wurde sie einzig durch die antisemitische
Konstruktion der Nürnberger Rassengesetze der Nationalsozialisten.
Diese diffamierten Deutsche mit einem jüdischen Elternteil und
ebneten den Weg zu deren Verfolgung.
Die Frage nach Zugehörigkeit besteht nicht nur für Sportlerinnen und
Sportler, sondern auch für deren Fans. Die Verbundenheit, die
Beziehung, die Anerkennung für einen Sportler oder einen Verein
unterstützen die eigene Selbstwahrnehmung und führen zu einen Gefühl
des Wohlbefindens und der Sicherheit – immer unter dem Vorbehalt,
dass der Wunsch nach Zugehörigkeit von einem Gegenüber angenommen
und ermöglicht wird. Es braucht immer zwei Seiten, die einander
bedingen. Zugehörigkeit versus Ausgrenzung, Inklusion versus
Exklusion. Der Galerist Alfred Flechtheim und seine Boxleidenschaft,
der Sport- und Modehaus-Inhaber Fritz Adam und seine Förderung von
Polarexpeditionen, der Komponist Arnold Schönberg und seine
Tennis-Notation oder auch der Rechtsanwalt Gert Rosenthal und sein
Traum von einer „jüdisch-deutschen Damen-Feldhockeymannschaft“
zeigen avantgardistische, traditionelle, witzige und originelle
Ausprägungen der Sportbegeisterung in der Fankurve. Aktuelle
Fan-Ideen werden hier genauso diskutiert wie die Verwendung der
Begriffe „Jude“ und „Yid“ in der Sportarena.
Wer wie und in welchem Maß am Sport teilhaben kann oder darf, ist
nicht beliebig. Durch die Betrachtung der jeweiligen Zugehörigkeit
bildet sich viel über die Selbstwahrnehmungen von Sportlerinnen und
Sportlern jüdischer Herkunft ab, aber auch über die Zuschreibungen
von außen. Und dieser besondere Blickwinkel auf das Spielfeld zeigt
die Vielfalt der Optionen „sportlich und jüdisch“ zu sein – bis
heute.
Ausstellungsdauer:
22. Februar 2017 bis 07. Januar 2018
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag von 10:00 bis 18:00 Uhr
Tickets:
6,00 € | erm. 3,00 €
Weitere Informationen unter:
www.juedisches-museum-muenchen.de
Bild: „Never Walk Alone. Jüdische Identitäten im Sport.“
Jüdisches Museum München / chezweitz GmbH, Berlin