Das Glück (Schastye)

Zum 32.-ten Kino-Geburtstag Stummfilm mit Live-Musik  

In einem der letzten in der Sowjetunion produzierten Stummfilme erzählt Alexander Medvedkin die Geschichte des Bauern Khmyr, der von seiner Frau Anna fortgeschickt wird, um das Glück zu suchen. Dabei trifft er auf gepunktete Pferde, Nonnen in durchsichtigen Blusen, laufende Häuser und fliegende Teigtaschen. Er versucht, sein bäuerliches Leben so gut es geht zu bestreiten, wird aber durch zahlreiche Rückschläge schließlich so arm, dass ihm zwei Diebe aus Mitleid etwas Geld schenken, weil sie auf seinem Hof nichts zum Stehlen gefunden hatten. Die Handlung zieht sich über einen unrealistisch langen Zeitraum: Khmyr muss in den Tagen des Zarenreichs seine Ernte als Zehnt in vollen Wagenladungen abgeben, ist zuweilen Wasserfuhrmann oder Wachmann der Kolchose und begeht nur den Freitod nicht, weil dann niemand mehr übrig wäre, der das stalinistische Russland ernähren würde. Der Film wurde produziert in einem politischen System, das Film und Fernsehen als Instrumente der Propaganda begriff und staatlich kontrollierte. Medvedkin widmet diesen Film »dem letzten Kolchosenfaulenzer« und skizziert dessen Weg ins Kollektiv als Aneinanderreihung überzeichneter Fehltritte, die nur zu einer Erkenntnis führen können: Das alte System gehört abgeschafft, das Neue muss her. Dass der Film erst in den 60er Jahren Aufmerksamkeit im Westen auf sich zog, ist unter anderem Chris Marker zu verdanken, der Ausschnitte daraus für seinen Film Le tombeau d'Alexandre (1993) verwendete.»Das Glück« fiel zunächst der Zensur zum Opfer und wurde erst ein Jahr nach Fertigstellung zur Aufführung freigegeben. Die slapstickartige Groteske die ein schonungsloses Bild des ländlichen Alltags in der Sowjetunion zeichnet wird live vertont von Anne Wiemann (Saxofon, Flöte) und Ulrich Kodjo Wendt (Diatonisches Akkordeon). Sie begleiten den Film mit schnaubendem Pferdesax und bauernschlauem Knopfakkordeon, komponieren eine imaginäre Brigadiers-Hymne, tänzeln über Schostakowitsch, lachen und weinen mit den HeldInnen des Films, mal klanggewaltig und mal poetisch-zart, bis zum schiefen schönen Schluss.